Über die Geduld
Man muss den Dingen die eigene, stille ungestörte Entwicklung lassen,
die tief von innen kommt und durch nichts gedrängt oder beschleunigt werden kann.
Alles ist austragen – und dann gebären...
Reifen wie der Baum,
der seine Säfte nicht drängt
und getrost in den Stürmen des Frühlings steht,
ohne Angst, dass dahinter kein Sommer kommen könnte.
Er kommt doch!
Aber er kommt nur zu den Geduldigen,
die da sind, als ob die Ewigkeit vor ihnen läge,
so sorglos, still und weit...
Man muss Geduld haben
mit dem Ungelösten im Herzen,
und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,
wie verschlossene Stuben,
und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind.
Es handelt sich darum, alles zu leben.
Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht
allmählich, ohne es zu merken,
eines fremden Tages
in die Antworten hinein.
Dieser Text wird Rainer Maria Rilke zugeschrieben.
Ich habe ihn von Dr. Herbert Mück (Zeichensetzung und Zeilenumbruch etwas angepasst).
Zumindest der zweite Teil über die Fragen stammt so ähnlich aus den
„Briefen an einen Jungen Dichter“. Hier das original mit Quelle.
Den ersten Teil konnte ich noch nicht zuordnen. Ich freue mich über Aufklärung...